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Das gefährliche Spiel mit den Gefühlen – die Entzauberung eines Coachingevents

Bist du bereit Business zu machen? Bist du bereit RICHTIGES Business zu machen?“ Das war der Moment, als sie mich endgültig verloren hatten. Sie, das sind die Veranstalter eines Hochpreis-Business-Coachingevents in Dubai. Aber um die soll es heute nicht gehen.

Es geht um diesen Moment, als ich aufgewacht bin und gesehen habe, was hier vor sich geht.

Ich war am Wochenende auf einem Coaching Event für Frauen. Eine befreundete Coachin hat mir gesagt „Kauf dir ne Karte und komm mit!“ Also hab ich mir eine Karte gekauft und war aufgeregt und neugierig, was mich erwartet. Ich war noch nie auf solch einem Event. Es sollte ein Netzwerkabend sein mit Top-Speakerinnen aus der Coaching-Branche und ich war gespannt, was ich von den Größen noch so lernen konnte. Doch ich ging ent-täuscht nach Hause. Viele Täuschungen sind an diesem Abend gefallen.

  • Die Täuschung, dass berühmte Coaches, die viel Geld verlangen viel besser sein müssten, als ich.
  • Die Täuschung, dass jeder Coach immer FÜR die Menschen ist.
  • Die Täuschung, dass ich eine Werbebotschaft erkenne, wenn ich eine vor mir habe.

Ja, ich bin auch enttäuscht von mir selbst. Es hat fast den ganzen Abend gedauert, bis ich das ungute Bauchgefühl, mit dem ich den Saal betreten habe, verstanden hatte und in Worte fassen konnte.

In dieser Zeit habe ich gesehen, wie aktiv mit den Gefühlen der Teilnehmerinnen gespielt wurde. Und natürlich standen sofort Crewmitglieder mit Taschentüchern bei Fuß, um Tränen zu trocknen, der Fotograf ihnen immer auf den Fersen. Eine dieser Übungen war die Spiegel-Übung. Die Teilnehmerinnen sollten zu gefühlvoller Hintergrundmusik und schummriger Beleuchtung ein paar Minuten sich selbst im Spiegel anschauen und sich selbst sagen, dass sie sich lieben. Das ist eine unglaublich machtvolle, aber intime und persönliche Übung. Doch in einem Saal mit 150 anderen Menschen ein denkbar ungeeigneter Ort.

ZACK! Das Licht geht an, die Musik wechselt zu treibenden Beats. Die Frauen haben ihre Tränen kaum trocknen können, da geht das Programm schon weiter. Animation, denn die nächste Speakerin betritt die Bühne. Bekannt aus TV und Internet, so die Ansage, hat diese Frau eine rührende Lebensgeschichte hinter sich. Applaus, eine wunderschöne, perfekt gestylte Frau betritt die Bühne. Ich habe noch nie von ihr gehört. Sie erzählt in rührenden Worten, zu trauriger Klaviermusik, wie sie ganz am Boden war. Ein paar Frauen, die die vorausgehende Übung noch nicht ganz verdaut haben, fangen an zu weinen. Die hilfsbereiten Taschentuchreicherinnen sind wieder zur Stelle. Dann wechseln Licht und Musik, die Speakerin erzählt, wie sie sich aus eigener Kraft wieder hochgerappelt hat, wie erfolgreich sie jetzt ist und dass sie jetzt weniger arbeitet und doppelt soviel Umsatz macht. (Später in der Q&A-Session wird sie erzählen, dass sie jeden Tag 110% gibt, um erfolgreich zu sein). Es folgen allgemeine Aussagen mit Worten wie Leichtigkeit und Freiheit. Applaus, die Rede ist zu Ende. Was war eigentlich die Aussage? Ich weiß es nicht.

15 Minuten Pause. Das reicht gerade so um aufs Klo zu gehen oder sich einen Crepe zu holen. Um sich über das Erlebte auszutauschen, reicht es nicht. Denn schon wieder werden wir von freundlichen Crewmitgliedern in den Raum gerufen, wer nicht schnell genug wieder auf dem Platz sitzt, wird höflich gebeten, sich zu beeilen. Schließlich will man die nächste Speakerin nicht verpassen, oder?

Wieder treibende Musik, Applaus, die nächste perfekt gestylte Frau betritt die Bühne. Ich hab sie irgendwann mal auf Instagram gesehen, ich folge ihr jedoch nicht, weil ihre Art bei mir ein ungutes Bauchgefühl hinterlassen hat. Wenn ich jetzt so ihre Rede höre und auch sie wieder von Plattitüden mit Leichtigkeit und Freiheit und „jede kann das, wenn sie sich nur genug anstrengt„, spricht, breitet sich das bekannte komische Gefühl in mir aus. Denn jeder Mensch ist anders, hat andere Voraussetzungen und jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen. Wieder „öffne dich, dann wirst auch du erfolgreich!“ Ich frage mich, ob ihre Definition von Erfolg auch meine ist und was die anderen Zuschauerinnen wohl über Erfolg denken mögen. Haben sie auch das komische Gefühl, dass sie hier mit Licht, Musik und tollen Worten manipuliert werden?

Mir ist alles zu laut und zu grell, ich setze mich auf einen der Barhocker am anderen Ende des Saals. Hach, Entspannung! Ein freundlicher Herr kommt in der nächstem Pause auf mich zu und bittet mich, dass ich doch wieder auf den Stühlen weiter vorne Platz nehmen soll. Schließlich würden sie hier mit Energie arbeiten. Ja, hab ich gemerkt. Ich wollte noch erwidern, dass mir die Energie nicht gefällt, aber da war der Moment schon vorbei. Ich trolle mich nach vorne.

Werbeeinblendung. Ein toller Film läuft an über ein Business-Event in Dubai. Ja, Dubai, Steuerparadies. Traum aller Steuerflüchtlinge. „Werde reich in einer Woche! Auch du kannst es schaffen! Buche gleich hier, denn die Plätze sind limitiert.“ Lächelnde Menschen mir Sektgläsern. Ich verlasse den Saal, denn mir ist schlecht.

Ich kann mein ungutes Gefühl vom Anfang jetzt in Worte fassen. Hier hat sich mir die Coachingbranche in ihrer oberflächlichen Glitzerfassade gezeigt, die mir auf Instagram schon zuwider ist. Deshalb kannte ich die meinten Speakerinnen auch nicht.

Anstatt den Teilnehmerinnen wirklich Mehrwert und Inspiration zu bieten, gab es WERBEBOTSCHAFTEN, verpackt als Wissensnuggets! Puh, das hat gesessen. Die Enttäuschung tut weh.

Diese ganzen bekannten Starcoaches haben mich hier mit ihren traurigen Geschichten, die sich alle ähneln, eingewickelt um mir dann ihre immer gleichen „du kannst alles schaffen!„-Botschaften zu präsentieren. Ihre Geschichten, die so allgemein gehalten sind, dass sich mit ein bisschen drücken, jede darin wiederfindet. Ihre perfekt abgestimmten Präsentationen mit Licht und Musik, die mit den Gefühlen der Frauen im Publikum spielen. Eine Glitzerwelt, die mir suggerieren soll, dass ich mich nur anstrengen muss (darf?), um mit Leichtigkeit Erfolg zu haben. Hä? Das macht doch keinen – „Möchtest du auch Glitzer für die Aftershow-Party?“ fragt mich eine freundliche junge Frau. Ich lehne ab.

Ich hab genug vom Glitzer und Glamour. Von falschen Wimpern, falschem Lachen und Weinen. Von der Oberflächlichkeit der Star-Coaches, die hier mit ihren Versprechungen Sehnsüchte wecken, die vorher nicht da gewesen waren. Coaches, die inzwischen so weit von den Menschen entfernt sind, dass sie die echten Sorgen und Nöte der Menschen nicht mehr erkennen. Dafür wecken sie große Träume von Luxusleben, Geld und Erfolg. Sie lösen nicht konkrete Probleme ihrer Coachees, um deren Leben zu verbessern, sondern wecken künstlich Sehnsüchte, um sie dann mit ihren Programmen zu befriedigen. Das ist Kapitalismus in Reinform! Das ist die Ausbeutung von Gefühlen und Ängsten als Gelddruckmaschine!

Ich schreibe diese Zeilen nicht, weil ich auf diese Coaches böse oder neidisch bin. Ich möchte auch nicht den Eindruck erwecken, dass ich der perfekte Coach bin. Im Gegenteil. In meiner Anfangszeit habe ich oft solche Werbebotschaften kopiert, weil ich es nicht besser wusste. Was für die Großen funktioniert, wird für mich schon auch funktionieren. Doch dass das nicht ich selbst bin, hab ich schnell gemerkt. Ich möchte dich dafür sensibilisieren, dass nicht alles Gold ist, was glitzert. Gerade in der Coachingwelt.

Worauf du bei der Wahl deines Coaches achten solltest

Achte bei der Wahl deines Coaches bitte darauf, was er oder sie dir verspricht. Weckt er/sie Sehnsüchte, die vorher gar nicht da waren oder BEGLEITET er/sie dich oder löst er/sie GEMEINSAM mit dir ein konkretes Problem? Wenn du dich unter Druck gesetzt fühlst – Finger weg!

Ich hoffe, ich konnte ein bisschen Licht in die Sache bringen. Wenn du mit mir diskutieren möchtest, dann lass mir gerne einen Kommentar da. Warst du auch schon mal auf einem Coaching-Event? Was hast du erlebt? Ich freu mich auf deinen Kommentar!

Alles Liebe, Steffi

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2 Gedanken zu „Das gefährliche Spiel mit den Gefühlen – die Entzauberung eines Coachingevents“

  1. Pingback: Jahresrückblick 2023

  2. Die Coaching-Szene ist inzwischen leider fast wie ein Krebsgeschwür. Völlig ungesund gewachsen. Wie Du schreibst, sind viele auf Botschaften hereingefallen, die gar keine Substanz haben und nur leere Versprechungen sind. Vor Jahren habe ich auch mal so eine Veranstaltung mit 1000en von Menschen erleben dürfen in einer puren „Chaka Chaka“ Mentalität. Billiges Ticket zum Einstieg, aber bitte dort vor Ort direkt die teuren Folgeevents buchen. Nur jetzt und zum Sonderpreis. Danke, aber Nein danke ;-).
    Dieses Jahr dürfe ich aber auch noch einmal Lehrgeld bezahlen. Als ich mich zu schnell für etwas entschieden habe, obwohl ich mit meinen Zielen für 2023 noch gar nicht klar war. Ich habe in diesem Programm auch viel gelernt, also im positiven Sinn. Allerdings wurde auch hier suggeriert, dass wenn man „struggelt“, es nur am eigenen Mindset liegt und weil man „schlecht über sich selbst redet“. Auch hier könne man „alles schaffen“, wenn man nur „dem Prozess vertraut“. So kann man es sich natürlich auch einfach machen, und den Teilnehmerinnen am Ende die Schuld geben, wenn sie keinen Erfolg hatten. Das fand ich sehr schade. Denn die selbst mega erfolgreiche Business Mentorin hat das gar nicht nötig. Aber sie arbeitet halt nur mit Menschen, die so „bad ass“ sind wie sie. Alle anderen bleiben auf der Strecke. Dabei hat jede Person ihren eigenen Rhythmus und mit ein wenig mehr Verständnis und Empathie hätte sich das Ganz für mich am Ende deutlich besser angefühlt.
    Aber zurück zu Dir und Deiner Erfahrung: Gut, dass Du hier direkt erkannt hast, was abgeht und Dich entsprechend distanzieren konntest. So hast Du auf jeden Fall gemerkt, was Du nicht möchtest.
    Vielleicht haben wir die Gelegenheit, uns mal bei den Sisters auszutauschen. Auch, wenn ich nicht ganz im gleichen Bereich unterwegs bin.

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