Willkommen am Nullpunkt
Du sitzt vor deinem Kräuterregal oder scrollst durch endlose Pflanzenlisten im Internet und denkst: „Wie soll ich das alles lernen? Wo fange ich überhaupt an?“
Herzlichen Glückwunsch! Genau hier beginnt jede*r, die/der ohne Plan startet. Und du bist nicht allein. Viele Anfänger scheitern nicht, weil sie es nicht können, sondern weil sie versuchen, alles auf einmal zu lernen und perfekt zu machen.
Der Nullpunkt ist der Punkt, an dem du bewusst nicht alles wissen musst, sondern einfach anfängst. In diesem Blogartikel geht es darum, erste Schritte zu gehen, die sich gut anfühlen und in deinen Alltag passen. Du bekommst hier einen Überblick, was du alles mit Pflanzen machen kannst, quasi als Buffet. Du entscheidest dann, in welche Richtung du zuerst gehen möchtest.
Dieser Blogartikel wird episch-lang. Also mach dir einen Kaffee oder ein Bier auf los geht’s!
Sicherheitsregeln für Anfänger
Damit du sicher in dein Kräuterexperiment starten kannst, solltest du zumindest die folgenden Punkte beachten:
Allergien prüfen: Prüfe immer vorher, ob du gegen eine Pflanze allergisch bist. Manche Menschen sind über Hautkontakt allergisch, andere wenn sie die Pflanze verzehren, andere sind allergisch auf die Pollen in der Luft. Wenn du beispielsweise auf Beifuß allergisch bist, kann es sein, dass du auch Kamille nicht verträgst, weil beide Pflanzen in der selben Pflanzenfamilie sind.
Schwangerschaft & Medikamente: Viele Kräuter sind in Schwangerschaft nicht geeignet, weil sie Wehen oder Blutungen auslösen können. Frage hier deinen Frauenarzt oder deine Hebamme. Kräuter sind kraftvoll und interagieren auch manchmal mit Medikamenten. Johanniskraut ist hierfür fast schon berüchtigt. Frage am besten in deiner Apotheke nach, ob sich deine Medikamente mit den Heilpflanzen vertragen, die du nutzen möchtest.
Frische & Qualität: Nur frische oder gut getrocknete Kräuter verwenden. Vermeide verschimmelte oder vergilbte Pflanzen. Lager sie nach dem Kauf unbedingt kühl und dunkel, damit sie ihre Wirkung lange behalten.
Kinder & Haustiere: Manche Pflanzen sind für Haustiere giftig und für Kinder zu stark. Lagere sie auf jeden Fall außerhalb ihrer Reichweite.
Dosierungsregeln für Einsteiger
Dosierung ist ein sehr schwieriges Thema, denn Kräuter sind nicht immer gleich gehaltvoll. Je nach Anbaugegend, Erntezeitpunkt und Lagerung können sie unterschiedlich viele Wirkstoffe enthalten. Manche Pflanzen sind auch stärker wirksam als andere. Kaffee putscht ganz anders auf als Rosmarin.
Wie die Pflanzen, sind auch wir Menschen sehr unterschiedlich. Manche sind groß und kräftig, andere klein und feingliedrig. Für größere Menschen braucht man tendenziell etwas mehr, für kleinere Menschen und Kinder etwas weniger. Aber es kommt auch drauf an, wie schnell jemandes Stoffwechsel arbeitet. Wenn du die Wirkstoffe schnell abbaust, sind häufigere, kleiner Dosen sinnvoller. Wenn du eher langsam verstoffwechselst, bleiben die Wirkstoffe länger in deinem Körper. Hier kannst du wenige, größere Dosen vertragen.
Bei chronischen Erkrankungen sind kleinere Dosen über einen längeren Zeitraum sinnvoll, damit die Wirkstoffe sich optimal entfalten können, bei akuten Problemen können größere Dosen mehrmals am Tag hilfreich sein.
Das ist also etwas, was bei dir mit der Zeit und der Erfahrung, die du beim Ausprobieren machst, kommen wird.
Für den Anfang kannst du dich mit kleinen Dosierungen herantasten und die Dosis so weit erhöhen, bis eine Wirkung eintritt. Schreibe dir dann diese Dosis unbedingt auf, damit du dieses Experiment nicht jedes Mal neu machen musst.
Tees:
- 1–2 TL getrocknetes Kraut pro Tasse Wasser, ggf. auf Esslöffel-Mengen steigern
- Ziehzeit meist 5–10 Minuten (je nach Pflanze)
Tinkturen:
- Meist 10–20 Tropfen in Wasser oder Tee, ggf. je nach Pflanze auf TL bis EL-Mengen steigern
Ölauszüge:
- Kleine Mengen in der Armbeuge auf Verträglichkeit testen
Überblick über gängige Zubereitungsformen
Kräuter können auf vielfältigste Weise genutzt werden. Innerlich und äußerlich, als Einreibung oder Inhalation. Hier kommen ein paar Beispiele, damit du einen groben Überblick darüber bekommst, was man mit Pflanzen so alles machen kann:
Tee (Aufguss / Abkochung): Kräuter werden mit heißem Wasser übergossen und dann ziehen gelassen. Für eine Abkochung werden kräftige Pflanzenteile, wie Wurzeln oder Früchte in kaltes Wasser gegeben und auf dem Herd aufgekocht und anschließend zwischen 30 Minuten und mehreren Stunden abgedeckt simmern gelassen. Du kannst es dann gleich trinken oder mit Zucker verrühren und einen Sirup daraus machen, den du dann Esslöffelweise einnehmen kannst. Ein Tee muss innerhalb von 24 Stunden leergetrunken werden. Ein Sirup hält im Kühlschrank mehrere Tage bis Wochen. Ein Tee oder Sirup ist für Kinder gut geeignet.
Tinktur: Für eine Tinktur werden zerkleinerte Pflanzenteile mit Alkohol (z.B. Wodka, Korn) übergossen und nach ca. einem Monat abgeseiht. Der Alkohol zieht viel mehr Inhaltsstoffe aus den Pflanzen als das Wasser beim Tee. Dadurch wird eine Tinktur immer stärker, als ein Tee. Man nimmt sie meist tropfenweise ein. Durch den Alkohol geht die Tinktur auch schneller ins Blut. Für Kinder und Alkoholkranke ist eine Tinktur nicht geeignet.
Ölauszug: Hier werden zerkleinerte Pflanzenteile für mehrere Stunden in warmem Pflanzenöl, wie Olivenöl oder Sonnenblumenöl ausgezogen. Sie können danach noch mit Bienenwachs zu einer Salbe gebunden werden. Ölauszüge und Salben werden meist äußerlich auf der Haut angewendet. Daher werden für einen Ölauszug meist hautfreundliche Pflanzen, wie Ringelblume genommen.
Räuchern: Beim Räuchern werden getrocknete Pflanzenteile auf einem Stück Kohle oder über einem Teelicht verbrannt. Die ätherischen Öle werden dadurch frei und können über die Nase direkt im Gehirn wirken. Räuchern kann genutzt werden, um die Stimmung zu verändern.
Pastillen: Ich liebe Pastillen. Hierfür werden gepulverte Pflanzenteile mit Honig vermischt und zu kleinen Kügelchen gerollt. Sie sind süß und lecker und Kinder mögen sie gerne.
Oxymel: Das ist eine Mischung aus Essig und Honig. Sie bilden ein bakterienwidriges Gebräu, in dem dann zusätzlich Kräuter, Gewürze und Früchte ausgezogen werden können. Dadurch entstehen leckere und spritzige Getränke, die auch als alkoholfreie Cocktail-Alternative genutzt werden können.
Auf was hast du spontan Lust?
Überblick über Wissensgebiete, die an Kräuterkunde anschließen
Die Kräuterkunde steht nicht alleine für sich. Wenn du lernen willst, Kräuter wild zu sammeln, solltest du dich mit der Botanik auseinandersetzen, wenn du Heilpflanzen medizinisch anwenden willst, ist es wichtig, die Körperfunktionen zu kennen usw. So kannst du dich je nach Interessensgebiet weiter spezialisieren und dein Wissen vertiefen.
Botanik: Wenn du Kräuter wild sammeln willst, musst du lernen, Pflanzen zu bestimmen, Blätter/Blüten/Stängel zu unterscheiden, den Lebensraum der Pflanzen zu erkennen und die botanischen (lateinischen) Namen lernen.
Pflanzenchemie: Wenn du sinnvolle Medizin aus Pflanzen herstellen willst, musst du die Wirkstoffe der Pflanzen und deren Löslichkeit verstehen. Nur so weißt du, ob deine Pflanze eher als Tee oder Ölauszug sinnvoll ist.
Körper & Gesundheit: Um die Kräuter bei Gesundheitswehwehchen einzusetzen, brauchst du ein Grundwissen über deine Verdauung, den Stoffwechsel, das Immunsystem, die Nerven, Haut usw. Denn nur so kannst du einschätzen, was dein Körper gerade braucht.
Ayurveda / Energetik / Humoralpathologie: Ein Medizinsystem ist nützlich, um die passenden Pflanzen und Zubereitungsformen für deine Wehwehchen auszusuchen. Bei einem trockenen Hals nimmst du befeuchtende Pflanzen, bei Fieber sind kühlende Pflanzen angezeigt. So kannst du über Temperatur, Feuchtigkeit und Tonus fühlen, was dein Körper gerade macht und die passenden Pflanzen aussuchen.
Volksheilkunde / Traditionelle Nutzung: Historische Anwendungen erzählen dir etwas von der Lebens- und Gesundheitsrealität vergangener Jahrhunderte. Achte aber hierbei auf gängige Narrative und Zuschreibungen, die historisch so nicht korrekt sind. Hildegard von Bingen war keine Kräuterfrau, sondern sie hat maximal als Hobby das Gesundheitswissen ihrer Zeit sammeln lassen. Hildegard war Politikerin. Das Kräuterwissen von „Kelten“ und „Germanen“ ist unwiederbringlich verloren. Gegenbehauptungen versuchen eine Kontinuität bis in die Antike und Frühmittelalter zu konstruieren, die nie so existiert hat und bisher immer politisch motiviert war.
Warum Wildsammeln nichts für Anfänger ist
Wildsammeln ist eine Kunst für sich. Du musst die mit Pflanzenfamilien, Wachstumsbedingungen, behaarten und unbehaarten Stängeln und vielem mehr auseinandersetzen. Um sicher die richtige Pflanze zu erwischen brauchst du viel Wissen und Erfahrung im Umgang mit den Pflanzen. Ich finde, dass Anfänger so gut wie immer davon überfordert sind. Es ist nichts schlimmes daran, deine Kräuter erstmal zu kaufen, um damit Erfahrungen zu sammeln. Das Sammeln kann dann als weiterer Schritt kommen, muss aber nicht. Du kannst auch eine versierte Kräuterfrau mit dem sein, was dein Küchenschrank so hergibt.
Diese Werkzeuge & Hilfsmittel brauchst du (nicht)
Für den Einstieg in die Kräuterkunde brauchst du keine teuren Werkzeuge kaufen. Nutze bitte einfach das, was du schon da hast. Mit dem Wasserkocher und einem Schraubglas kannst du einen super starken Tee aufbrühen, für eine Tinktur nimmst du den Wodka, den du mal geschenkt bekommen hast und eh nicht trinkst und für Ölauszüge nimmst du einfach die Öle die du in deinem Küchenschrank hast.
Auch Kräuter musst du für den Anfang nicht kaufen, denn du hast sie bereits. Schau mal in deinen Küchenschrank: da entdeckst du vielleicht Thymian, Rosmarin, schwarzen Pfeffer, Zwiebeln, Knoblauch und Ingwer. Damit hast du deine Erkältungsapotheke schon beisammen. Sammle Erfahrung mit den Kräutern, die du bereits hast und erweitere dann deine Sammlung um einzelne Kräuter. Das ist Nachhaltig und schont deinen Geldbeutel.
Die einzig sinnvolle Lernstrategie
Um systematisch und nachhaltig Kräuterwissen aufzubauen und anzuwenden, hilft nur: Eins nach dem anderen.
Deshalb nimm dir jetzt einen Zettel und Stift zur Hand und schreibe die Monate von Januar bis Dezember darauf. Dann ordne jedem Monat eine Pflanze zu, die du näher kennen lernen willst. Das sieht dann etwa so aus:
Januar: Zimt
Februar: Weidenrinde
März: Löwenzahn
April: Brennnessel
Mai: Rosen
Juni: Johanniskraut
Juli: Thymian
August: Holunderbeeren
September: Fenchel
Oktober: Hagebutten
November: Löwenzahnwurzeln
Dezember: Fichtenharz
In jedem Monat kümmerst du dich nur und ausschließlich um die Pflanze, die auf deiner Liste steht. Recherchiere in Kräuterbüchern von renommierten Kräutermenschen (Liste folgt unten) Aussehen, Dosierung, Zubereitungsmöglichkeiten und probiere dich dann aus. Wie wird die Pflanze traditionell angewandt? Wo wächst sie? Wann wird sie geerntet oder gesammelt? Welche Pflanzenteile werden verwendet? Und dann probiere dich aus und lerne direkt von den Pflanzen!
Offenes Kräuterbuchregal: Bücher renommierter Kräutermenschen
Wenn du dir Kräuterbücher kaufst, achte gut darauf, wer das Buch geschrieben hat. Stelle folgende Fragen:
- Ist das überhaupt ein Mensch oder KI? (über 80% der Kräuterbücher auf Amazon sind von KI verfasst!)
- welche Expertise hat die Person? Ist sie oder er praktizierende/r Kräuterkundler/in? oder hatte die Person mal einen Wochenendkurs gemacht? Du wirst lachen, es gibt sogar Bücher von Leuten, die keinerlei Expertise bei Heilpflanzen haben!
- Welches Ziel verfolgt die Person mit dem Buch? Menschen schreiben heute Bücher, um sich „Autor/in“ nennen zu können, nicht um Wissen weiterzugeben. Manche Autoren schreiben auch, dass Heilpflanzen gefährlicher Quatsch seien, andere sind super esoterisch ohne jegliche Bodenhaftung.
Folgende Bücher lese und nutze ich selbst immer wieder gerne. Sie stammen von Menschen mit teils Jahrzehntelanger Erfahrung und Expertise im Umgang mit Menschen und Heilpflanzen oder in der Herstellung von Medizin. Die übersetzten Bücher haben oft richtig dämliche Titel. Der Inhalt ist aber durchgehend sehr gut. Wenn du gut Englisch kannst, hol dir die Bücher unbedingt auf Englisch.
Rosemary Gladstar
Heilkräuter – Rezepte für die ganze Familie
Rosalee de la Foret
Die Alchemie der Kräuter und Gewürze
Maria Noel Groves
Die geheime Heilkraft der Pflanzen
Rudi Beiser
Essbare Wildkräuter und Wildbeeren für unterwegs
Vermarktung von Kräuterprodukten
Heilpflanzen und Kräuter aus dem eigenen Garten
