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Wirklich wirksam: Die Chemie der Heilpflanzen verständlich erklärt

Teil 1: Was Heilpflanzen wirklich wirken lässt

Heilpflanzen wirken – keine Frage. Aber was wirkt da eigentlich? Und wie kann man das verstehen, ohne Chemiker:in zu sein?
In dieser Serie zeige ich dir Schritt für Schritt, welche pflanzlichen Wirkstoffgruppen es gibt, was sie in deinem Körper tun und wie du dieses Wissen praxisnah in der Kräuteranwendung nutzen kannst.

Heute starten wir mit den Grundlagen.

Die zwei Lager: Magie vs. Moleküle?

Viele Menschen sehen Heilpflanzen entweder:

  • als rein energetisch wirkende Wesen (Seele der Pflanze, Bachblüten etc.)
  • oder als chemische Cocktailbars mit messbaren Wirkstoffen

Meine Antwort: Beides stimmt – aber nur gemeinsam wird’s rund.

Denn ja, Pflanzen haben eine spürbare Ausstrahlung, ein Wesen, eine Signatur.
Aber sie haben eben auch ganz konkrete Wirkstoffe: Bitterstoffe regen die Galle an, Schleimstoffe beruhigen gereizte Schleimhäute, ätherische Öle töten Keime ab.

Diese Stoffe sind messbar, nachvollziehbar und erklärbar – und das ist nichts, wovor man Angst haben muss. Im Gegenteil: Es hilft dir, bessere Entscheidungen zu treffen.

Was sind „Wirkstoffe“ überhaupt?

Wirkstoffe sind entweder primäre oder sekundäre Pflanzenstoffe. Primäre Pflanzenstoffe sind Moleküle, aus denen die Pflanze aufgebaut ist, also Zucker, Zellulose oder Eiweiße. Schleimstoffe sind Zuckerketten. Sekundäre Pflanzenstoffe sind Moleküle, die Pflanzen nicht zum Wachsen brauchen – aber die ihnen (und uns) einen Vorteil bringen.

Beispiele:

  • Bitterstoffe: schützen die Pflanze vor Fressfeinden – und stärken bei uns die Verdauung
  • Gerbstoffe: machen Blätter unangenehm herb – und wirken bei uns wundheilend
  • Ätherische Öle: vertreiben Insekten – und helfen uns bei Infekten
  • Flavonoide: wirken Zellschützend – bei den Pflanzen und Menschen

Diese Stoffe haben physiologische Effekte auf unsere Körpergewebe – und genau das ist der Einstieg in ein echtes Pflanzenverständnis.

Zwei Löslichkeitswelten: Öl und Wasser

Wenn du schon mal eine Salatsoße angerührt hast, dann weißt du, dass sich Essig und Olivenöl nicht mischen. Erst wenn du Senf dazugibst, wird es eine dickliche Emulsion. Diese beiden Löslichkeitswelten begegnen dir überall. In den Pflanzen und in deinem Körper. Die Pflanzen haben Inhaltsstoffe, die sich vor allem in Wasser lösen und welche, die sich vor allem in Öl oder Fett lösen. Ganz wenige, wie die Saponine, lösen sich in beiden.

Wenn du weißt, dass wasserlösliche Inhaltsstoffe häufig über das wässrige Entgiftungssystem aka die Nieren ausgeschieden werden, und dass fettlösliche Inhaltsstoffe den Fettstoffwechsel also Galle, Leber und Darm beeinflussen, dann hast du schon die halbe Miete.

Wenn du jetzt noch verstehst, dass du wasserlösliche Inhaltsstoffe nur in wässrigem Milieu (also Wasser, Alkohol bis 50%, Essig) ausziehen kannst und fettlösliche Inhaltsstoffe nur in Fett (obviously), dann wird dir klar, warum der vielgepriesene und viel zu teuer verkaufte Kurkumatee nur ein Werbetrend ohne Wirkung ist.

Warum?

Beispiel: Kurkumatee – Wirkungsloser Werbetrend

Die Hauptwirkstoffe in Kurkuma sind Harze. Harze sind fettlöslich. Sie lösen sich kein bisschen in Wasser (also Tee). Du kannst also Kannenweise teuren Kurkumatee trinken, ohne jemals auch nur annährend genug Wirkstoffe in deinen Körper zu bekommen.

Wenn du dir die traditionelle Anwendung von Kurkuma im Ayurveda und der indischen Küche anschaust, stellst du fest, dass Kurkuma immer mit Fett zubereitet wird. Entweder mitgekocht in Ghee/Butterschmalz oder als Goldene Milch mit Kuh- oder Kokosmilch zubereitet. Über solche traditionellen Anwendungsweisen kannst du schon viel lernen. Wenn du jetzt noch weißt, dass die Hauptwirkstoffe fettlösliche Harze sind, dann wird dir klar, dass Kurkumatee himmelschreiender Unsinn ist.

Vielleicht ist dir jetzt schon bewusst geworden, warum manche Kräuteranwendungen, die du ausprobiert hast, nicht funktioniert haben. Vielleicht hast du jetzt auch festgestellt, dass die Chemie hier nicht dein Feind, sondern dein Helfer ist, auf dem Weg zu mehr Verständnis über Heilpflanzen und ihre Wirkung.

Du musst nicht jedes Molekül beim Namen kennen – aber du solltest wissen:

  • Welche Stoffe in den Pflanzen willst du nutzen?
  • Welcher Löslichkeitswelt gehören sie an?
  • Macht meine gewünschte Zubereitungsweise Sinn?

Dieses Wissen hilft dir:
pflanzenbasierte Hausmittel gezielter auszuwählen
Kräuter für dich oder deine Klient:innen besser abzustimmen
wirklich wirksame Kräuterzubereitungen herzustellen und
Internetrezepte oder Werbeversprechen auf Sinnhaftigkeit zu überprüfen

Lösungsmittel – Welche Zubereitung passt zu welchem Inhaltsstoff?

Nicht alle Inhaltsstoffe lösen sich in Wasser! Die Wahl des richtigen Lösungsmittels ist entscheidend. Eine Tinktur wirkt anders als ein Tee oder ein Ölauszug.

Pflanzlicher InhaltsstoffBestes Lösungsmittel
Säuren Wasser, geringfügig Alkohol, Essig
AlkaloideAlkohol, Essig, Glycerin, begrenzt auch gesäuertes Wasser
BitterstoffeWasser, Alkohol, Essig, Glycerin
MineralstoffeWasser, Essig, Alkohol bis 40%
Schleimstoffe (Polysaccharide)Kaltes Wasser
Harzehochprozentiger Alkohol (mind. 70%), warmes Öl
Zucker Kaltes und heißes Wasser, niedrigprozentiger Alkohol (bis 40%)
Gerbstoffe (Tannine)Kaltes oder warmes Wasser, Glycerin
Ätherische Ölehochprozentiger Alkohol (ab 50%), heißes Wasser (reißt die Öle aus der Pflanze, kann sie aber nicht halten), Öl

Ausblick auf die nächsten Teile der Serie

In den nächsten Artikeln schauen wir uns einzelne Wirkstoffgruppen im Detail an – mit Beispielen, typischen Pflanzen, Wirkungen, Nebenwirkungen und Anwendungstipps:

  • Teil 2: Bitterstoffe – Die unterschätzten Heiler für Leber, Verdauung & Seele
  • Teil 3: Gerbstoffe – Zusammenziehend, schützend, entzündungshemmend
  • Teil 4: Schleimstoffe – Sanfte Helfer für Schleimhäute und Reizlinderung
  • Teil 5: Ätherische Öle – Duften, heilen, desinfizieren
  • Teil 6: Flavonoide & Co. – Die antioxidative Supertruppe

Dein Werkzeugkasten wird präziser

Wenn du weißt, was Pflanzen chemisch in deinem Körper tun, kannst du viel gezielter arbeiten. Wenn du jetzt auch noch weißt, ob sie sich eher in Wasser oder Öl lösen, dann hast du die Grundlage für deine wirksame Hausapotheke gelegt.
Und das Schöne: Die Chemie ist nicht dein Feind, sondern dein Werkzeug – für mehr Wirkung, mehr Verständnis und mehr Selbstwirksamkeit.

Je besser du weißt, was du extrahierst – desto gezielter kannst du pflanzliche Mittel herstellen. Du musst keine Chemikerin oder Chemielaborantin sein, um die Grundlagen zu verstehen. Doch wenn du weißt, dass ein Tee deine Gerbstoffe löst, aber kaum ätherische Öle – dann wird deine Pflanzenpraxis plötzlich glasklar. Du bist dir sicher, dass deine Anwendung auch wirkt.

1 Gedanke zu „Wirklich wirksam: Die Chemie der Heilpflanzen verständlich erklärt“

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